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Kürzlich war im Kanton Baselland Unitag. An diesem Tag können Schülerinnen und Schüler der Baselbieter Gymnasien Vorlesungen der Universität besuchen und sich Gedanken darüber machen, was sie später einmal studieren möchten. Ich frage in diesem Zusammenhang jeweils nach, welche Vorlesungen sie denn besucht haben. Diesmal waren einige meiner Schülerinnen und Schüler in einer musikwissenschaftlichen Vorlesung und ich fragte sie, wie sie das so erlebt haben. Nicht zum ersten Mal antworteten sie schliesslich, dass sich die Vorlesung nicht wesentlich vom gymnasialen Musikunterricht unterschieden habe, schliesslich sei nichts anderes als die bereits besprochene Sonatenhauptsatzform Inhalt der Vorlesung gewesen.
Zu Studienzeiten musste ich auch einige musikwissenschaftliche Vorlesungen besuchen und ich kann mich noch gut erinnern, wie ich mich in der Pause einer Vorlesung zum Cembalo gewandt habe, das an einer Wand stand, um die Generalbassnotation des soeben besprochenen Werks nachzuspielen. Darauf sagte der Dozent: „Schon noch toll, wenn man einen Generalbass auch wirklich spielen kann“. Die Verbindung von Theorie oder meinetwegen Wissenschaft und Praxis war schon damals einer der Gründe, weshalb ich mich vor dreissig Jahren entschlossen habe, Musik zu studieren. Auch heute fasziniert mich die Verbindung von explizitem Wissen und impliziter Fähigkeit im Fach Musik immer noch.
Nun musste ich in den vielen Jahren, seit ich unterrichte, immer wieder beobachten, dass dem Schulfach Musik die Wissenschaftlichkeit teilweise abgesprochen wird. Aktuell gibt es sogar eine vom Nationalfonds finanzierte Studie der Fachhochschule Nordwestschweiz zum Thema „Gymnasialer Musikunterricht als Spiegel einer praxisbasierten Didaktik. Wissensordnungen in einem Schulfach ohne wissenschaftliche Disziplin und diskursiv konturierte Fachdidaktik“. Ich frage mich, ob die Autoren dieser Studie je die Lehrpläne des Musikunterrichts im Kanton Baselland gelesen haben.
Seit je her sind dort explizit wissenschaftliche Inhalte ausformuliert, die sich eindeutig nicht nur auf Musikpraxis sondern eben auch auf musikwissenschaftliche Inhalte beziehen. Dies ist unter anderem ein Grund, weshalb ich es nicht für richtig halte, die Wahlpflichtfächer Musik mit dem Grundlagenfach „Bildnerisches Gestalten“ gleichzusetzen. Die Lehrpläne des Kantons Baselland beinhalten im Grundlagenfach BG seit Jahren ausschliesslich praktische Gestaltungstechniken während im Musikunterricht sogenannte „theoretische Inhalte“ häufig dazu führen, dass das Fach Musik abgewählt wird. Musik bezieht sich eben gerade im gymnasialen Kontext nicht nur auf die omnipräsente Unterhaltungsmaschinierie sondern versteht sich als Fach mit gesellschaftlichem und historischem Kontext. Nach einem oder zwei Jahren Unterricht verstehen das zum Glück auch die meisten Schülerinnen und Schüler.
Der Nimbus des „Unwissenschaftlichen“ kommt nach meiner Beobachtung nicht unbedingt vom Fach Musik her, wie es seit je her (oder seit den grossen Philosophen) am Gymnasium unterrichtet wird, sondern stammt von einer gesellschaftlichen Haltung, auf Grund derer Musik und deren medialer Verbreitungsmöglichkeiten inklusive technischer wie wirtschaftlicher Entwicklungen vermehrt als Konsumgut betrachtet wird, über das man nicht gross und schon gar nicht wissenschaftlich nachdenken muss. Es scheint mir wichtig, dass demgegenüber am Gymnasium eine kritischere, meinetwegen wissenschaftlichere Haltung entwickelt werden kann.
Wenn eine Musiklehrperson sich an die Lehrpläne des Kantons Baselland hält, kommt sie bereits heute nicht darum herum, auch wissenschaftliche Inhalte in ihrem Unterricht zu berücksichtigen.
Auf Wikipedia wird Wissenschaft folgendermassen definiert: Die Wissenschaft ist ein System der Erkenntnisse über die wesentlichen Eigenschaften, kausalen Zusammenhänge und Gesetzmäßigkeiten der Natur, Technik, Gesellschaft und des Denkens, das in Form von Begriffen, Kategorien, Maßbestimmungen, Gesetzen, Theorien und Hypothesen fixiert wird.[3].
Wenn ich also im Musikunterricht Akkorde, Blues, Schönberg, Avantgarde, Tonarten, Barockmusik, Rhythmen, gesellschaftliche Zusammenhänge, Stimmqualitäten, Stimmungen, Instrumente, Partituren und vieles mehr bespreche, ist das nur in Form von wissenschaftlichem Vorgehen möglich. Anders geht das gar nicht und laut Lehrplan muss das auch so sein. Warum dem gymnasialen Musikunterricht heutzutage von Fachhochschulen trotzdem die Wissenschaftlichkeit abgesprochen wird, entzieht sich meiner Kenntnis. Ist es das Vorgehen einer Institution, die die Wissenschaftlichkeit für sich gepachtet haben will? Was ist ist denn nun Wissenschaft? Und wer definiert das? Sicher nicht nur die Fachhochschule Nordwestschweiz….oder der Schweizer Nationalfonds…
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