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Autorenbildjuergsiegrist

Ruinen

Aktualisiert: 31. Mai 2020


Vor kurzem war ich mit meinen Kindern in der Römerstadt "Augusta Raurica". Kurz vor dem "Lockdown" haben wir dort einen spannenden Tag auf der Jagd nach einem römischen Geist verbracht. Im Römertheater hatten wir die Aufgabe, Tiere pantomimisch nachzuahmen. Ein jüngeres Paar beobachtete belustigt, wie ich versuchte, eine Kuh darzustellen; gar nicht so einfach. Die Römerstadt Augusta Raurica fasziniert mich seit meiner Kindheit. Unmittelbar dort, wo der legendäre Römerschatz gefunden wurde, übte später der junge Xerdan Shaqiri seine ersten Dribblings auf dem Pausenhof des neuen Schulhauses. Das Buch "Fundort Schweiz" zum Thema "Römerzeit in der Schweiz", das ich als Kind von meiner Gotte geschenkt erhalten habe, hat mein Sohn unlängst in die Schule mitgenommen, um es seinen Kolleginnen und Kollegen zu zeigen. Das Thema lautet dort zur Zeit ebenfalls "Die Römer".

Etwas ist mir bis heute ein Rätsel geblieben. Wie konnte diese riesige Stadt, die bis zu 10ˋ000 Einwohner gehabt haben soll, derart schnell wieder verschwinden? Ca. 50 nach Christus wurden die ersten römischen Steinhäuser in Augst gebaut. Etwas mehr als zweihundert Jahre später waren gewisse Stadtteile bereits wieder verlassen und dem Zerfall ausgesetzt. Nachdem die Stadt noch lange Zeit als Kastell gedient hatte, konnte man während dem Aufschwung von Basel bereits um 600 n. Chr. dort, wo einst eine riesige Römerstadt gestanden hatte, nur noch ein Fischerdorf antreffen.

Im Zentrum der heutigen Ruinen steht das Römertheater. Es ist das Zeugnis der kulturellen Hochblüte der Römerstadt und wurde Ende des 2. Jahrhunderts erstellt. Ab ca. 300 n. Chr. diente es nur noch als Steinbruch. Wenn man sich die Dimension dieses Theaters anschaut, ist der Zerfall in dieser kurzen Zeit fast erschreckend. Als Gründe werden oft knapp abgefasste Thesen zu Seuchen und Kriegen angegeben aber genau hier würde es für uns eigentlich interessant. Zur Zeit der Hochblüte verbreitete sich im römischen Reich die "antoninische Pest" (ca. 165-190). Von einigen Geschichtsschreibern wurde das Gerücht festgehalten, dass die Krankheit bei einer Tempelplünderung aus einem Gefäss entwichen sei. Kommt uns das irgendwie bekannt vor? Der historische Einfluss der Krankheit auf den Zerfall des römischen Reiches ist heute umstritten. Mit ihrer Dauer von über zwanzig Jahren, hoher Sterblichkeitsrate und rascher Verbreitung im gut vernetzten römischen Reich dürfte sie auf jeden Fall einschneidend gewesen sein und gewisse Entwicklungen beschleunigt oder beeinflusst haben. Die parallelen zur heutigen Zeit sind offensichtlich. Je länger die Coronakrise andauert, desto mehr wird auch sie sich zu einem einschneidenden Ereignis des 21. Jahrhunderts entwickeln. Auf den Ruinen des römischen Reiches ist die ständische Gesellschaft des Mittelalters entstanden, die erst tausend Jahre später wieder aufgebrochen wurde. Seit Wochen sitzen wir im Homeoffice an unseren Computern und viele Personen sprechen schon davon, dass es nun endlich zum längst fälligen Digitalisierungsschub kommen müsse. Mag sein, aber viel entscheidender wird sein, was die Krise für unser gesellschaftliches Zusammenleben bedeutet. Sind die CDs hinter meinem Rücken, das Auto in der Garage, das Klavier in unserem Wohnzimmer, die Bücher in meinen Gestellen, die Heizung unseres Hauses die Ruinen der Zukunft?




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