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Wie steht es um unser Zusammengehörigkeitsgefühl? Laut einer aktuellen Umfrage wird von über fünfzig Prozent der Menschen in der Schweiz der Zusammanhalt als eher schwach bewertet. Offensichtlich besteht auch ein Zusammenhang zwischen privatem Rückzug, der sich seit der Corona-Pandemie verschärft hat, und dem jeweils empfundenen Zusammengehörigkeitsgefühl. Die Studie des medialen Monopolisten Sotomo hat auch versucht zu untersuchen, welche Tätigkeitsfelder den Zusammenhalt stärken sollen. Interessanterweise ist laut Medienberichten aktive kulturelle Betätigung im Gegensatz zu gemeinsam Sport treiben einmal mehr nicht sehr prominent dabei. Hat es nicht zum Erfahrungshorizont der Studienleitungen gehört oder hat kulturelle Tätigkeit heute keine gesellschaftliche Relevanz mehr?
Das Projekt „die erste Walpurgisnacht“, das am letzten Dienstag im Basler Stadtcasino über die Bühne gegangen ist, hat im Gegensatz dazu aufgezeigt, wie wirksam kooperative Kulturprojekte in unser heutigen Zeit sind und welche Effekte damit erzielt werden können, wenn sie gut aufgezogen werden. Die Ausführenden der Aufführung vom letzten Dienstag waren alle auf ihre Weise ohne Konkurrenz- oder Wettkampfsdruck unmittelbar in das Projekt und die Aufführung eingebunden und konnten sich gemäss ihren eigenen Voraussetzungen aktiv einbringen.
Die Regisseurin Salomé Im Hof verseht es immer wieder von Neuem auf sehr geschickte Weise, die verschiedenen Gruppen einer Aufführung gemäss ihren eigenen Ressourcen optimal einzusetzen. Da waren einerseits die rund hundert Schülerinnen und Schüler des Schulchors der Rudolf Steiner Schule Aesch. Sie hatten von Beginn weg kommuniziert, dass sie nicht viel gemeinsame Probezeit investieren konnten. Sie sassen in der Aufführung auf den Seitenbalkonen neben der Orgel und sangen einfach so gut als möglich aber teilweise durchaus auch sehr gut mit.
Der Chor des Gymnasiums Muttenz war schon deutlich mehr in das Geschehen auf der Bühne miteingebunden. Unsere Sängerinnen hatten die Möglichkeit, gewisse Inszenierungsmomente aktiv mitzugestalten und sangen teilweise zusammen mit dem jungen Kammerchor Basel. Damit hatten sie die Chance, unmittelbar direkt neben Profis zu singen - ein mitreissendes Erlebnis!
Im Kern der Aufführung befanden sich die Sängerinnen und Sänger der jungen Oper des Theaters Basel. Sie tanzten, rezitierten, sangen auf beachtlich hohem Niveau und zeigten sich von ihrer besten Seite. Besonders eindrücklich war die Rezitation des Texts „Vefluchtes Eisen“, das einer Übersetzung des Stücks „Raua Needmine“ von Veljo Tormis entsprach. Der von kriegerischen und kulthaften Inhalten geprägte Text entstammt ursprünglich aus dem finnischen Nationalepos „Kanevala“, einem Kult, der als Volksfest immer am 28. Februar gefeiert wird und vermutlich bis auf einen Dyonisoskult der alten Griechen zurückgeht, der bei den Römern „Carrus navalis“, auch bekannt als „Narrenschiff“ oder „Schiff auf Rädern“, genannt wurde. Frühlings- und Fasnachtskulte waren omnipräsent am letzten Dienstag.
Und ebenfalls in der Mitte der Aufführung befand sich der junge Kammerchor Basel, der über ein sehr eindrückliches Gestaltungs- und Gesangsspektrum verfügen konnte und mit anspruchsvollen Chorstücken aufwartete. Das Ensemble ist vielleicht historisch gesehen noch recht jung, besetzungstechnisch waren die Sängerinnen und Sängerinnen mit ihren teilweise grau melierten Haaren jedoch wesentlich älter als unsere Gymnasiastinnen und Gymnasiasten.
Zum Gesamtkunstwerk der Aufführung vom letzten Dienstag gehörten auch vier professionelle Solistinnen und Solisten, eine Organistin, ein Pianist und ein Schlagzeugensemble, das das von Jonas Marti eigens erstellte Arrangement der ersten Walpurgisnacht von Felix Mendelssohn farbig und mit klaren Konturen umsetzen konnte. Wer die originale Orchesterversion kennt, war über die teilweise sehr originellen Besetzungsvarianten mit Pauken und Marimbafonen freudig überrascht.
Das Ganze ist die Summe seiner Einzelteile, und genau diese Qualität machte die Faszination unserer Aufführung aus. Auch wenn die Einzeilteile für sich isoliert betrachtet nur bedingt immer perfekt ausgearbeitet waren, entstand ein faszinierendes, vollständiges Gesamtkunstwerk, das beim Publikum ausgesprochen gut ankam.
Es ist eine Kunst für sich, ein derart vielschichtiges Projekt so überzeugend auf die Bühne zu bringen, wie das am letzten Dienstag gelungen ist. Aus dem frostigen Winter heraus schälen sich Menschen zu farbenfrohen Gestalten, die in einer Art frühlingshaften Erregung die Wiedergeburt des Lebens und die endlich wieder wärmende Frühlingssonne feiern. Sie feiern im Kollektiv und sind Teil einer Welt, in der sie sich frei entfalten und einbringen können. Ganz im Sinne des Schlusssatzes von Goethes Gedicht „Die erste Walpurgisnacht“: „Dein Licht, wer kann es rauben?“ Oder in meiner aktuellen Version: „Aufklärung, was wird von Dir bleiben?“
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