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Autorenbildjuergsiegrist

Fundstücke im Privatarchiv

Aktualisiert: 21. Feb.

Seit rund dreissig Jahren bin ich nun in der Region Basel als Chorleiter und Musiklehrer tätig. In dieser Zeit hat sich eine beträchtliche Zahl von Noten und Informationen bei uns zuhause angesammelt. Leider habe ich bisher keine Zeit gefunden, die unzähligen Stapel systematisch zu ordnen. Unsere Schränke und Regale sind daher zum Bersten voll mit Unterlagen, Noten und Büchern. Dieser Menge lässt sich nur Schritt für Schritt begegnen und daher habe ich angefangen, regelmässig einen kleinen Teil meiner grossen Sammlung neu zu sortieren. Es ist gar nicht so einfach, dabei zu entscheiden, was ohne Weiteres entsorgt und was auf Grund einer gewissen historischen Relevanz behalten werden sollte.

Aktuell bin ich gerade daran, einige Kisten, die mir die singstimmen baselland aus ihrem Archiv hinterlassen haben, zu durchforsten. Ich bin froh, dass vieles entsorgt werden kann, stosse aber bei meiner Arbeit immer wieder auch auf interessante Fundstücke. Einige Beispiele davon wurden bereits am Jubiläumskonzert der Singstimmen im Herbst gezeigt, andere sind auf Grund ihrer Geschichte interessant, können aber ohne Kontext nicht ohne Weiteres wieder aufgeführt werden.

Besonders aufgefallen ist mir heute ein altes Leipziger "Volksliederbuch für die Jugend" aus dem Jahr 1930.

Offensichtlich gab es damals in Deutschland so etwas wie eine staatliche Kommission, die dieses Buch zusammengestellt hat. Aktuell wurde in der Schweiz gerade das Buch "Swiss Choral Music" mit dem Carusverlag unter dem Lead zweier geschätzter Kollegen herausgegeben, was zu ziemlich vielen Diskussionen in der Szene geführt hat.

Blättert man im Leipziger Buch, so stösst man auf viele klingende Namen, der damaligen Zeit: Heinrich Kaminski, Paul Hindemith, Kurt Thomas, Ernst Toch, Wilhelm Kempff u.v.a.

Die Melodien der Sätze gehören alle zum deutschen Volksliedgut und es konnten demnach damals viele namhafte Komponisten gewonnen werden, die neue Sätze zu diesen teilweise Jahrhunderte alten Melodien geschrieben haben. Sie sind alles andere als einfach und aus heutiger Sicht überhaupt nicht mehr jugendgerecht.

Ein weiteres interessantes Fundstück stammt von Walter Müller von Kulm.

Es ist das Werk "das Lied vom Kreuz" für Orchester, Kinder- und gemischten Chor, das im Jahre 1939 zu Beginn des 2. Weltkriegs von den Gebrüdern Hug herausgegeben worden ist. Der Verlag geht auf den legendären Hansgeorg Nägeli zurück und hatte um die Jahrhundertwende bis nach Leipzig expandiert. Die dortige Filiale musste jedoch nach dem Krieg geschlossen werden.

Walter Müller von Kulm, der Komponist des Stücks, war ein zu seiner Zeit renommierter, Basler Komponist und Dirigent. Er leitete lange den Basler Bachchor und war Direktor der Musikakadamie Basel. Der Text des "Lieds vom Kreuz" ist aus heutiger Sicht derart schwülstig, dass ich das Werk zusammenhangslos nicht aufführen würde. Im Angesicht des damals drohenden Krieges erhält es jedoch wieder eine Aktualität, die für mich speziell berührend, wenn nicht gar etwas unheimlich ist.

Das dritte Fundstück stammt von Rudolf Moser, den alle Basler Chorleitungsstudierenden sicher dem Namen nach kennen, da ihr Unterricht auch heute noch teilweise im "Rudolf Moser-Haus" stattfindet.

Er ist in Basel aufgewachsen und hat in Leipzig bei Max Reger studiert, bevor er in Basel als Kompositionslehrer tätig geworden ist. Sein Stück ist für die besagte Besetzung (Orchester, Jugendchor, Gemischter Chor) gut aufführbar und ich frage mich schon länger, warum der Komponist nicht häufiger in der Region Basel zu hören ist.

Es waren spannende Funde, die ich heute gemacht habe. Namhafte Komponierende haben vor Jahren für Laien- und Jugendchöre gut realisierbare Stücke geschrieben. Ein Umstand, den ich als Jugendchorleiter schon seit längerem vermisse und nicht zuletzt dazu geführt hat, dass ich eigene Stücke mit zeitgenössischem Ansatz für Jugendchöre zu konzipieren begonnen habe. Auch die Chormusikwelt ist ausgesprochen divers geworden. Vielfältig, farbig, aktiv, dynamisch aber irgendwie halt auch konturlos, wenn man sie mit den erwähnten Werken aus älterer Zeit vergleicht.

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