Pandemien verlaufen in Wellen. Das war schon vor hundert Jahren zur Zeit der Spanischen Grippe so. Interessanterweise war bisher der Verlauf der Coronapandemie gar nicht so viel anders wie damals. Bisher wiederholt sich der Rhythmus der Coronapandemie ziemlich ähnlich. Die erste Welle erreichte uns im Frühling 2020 und war rückblickend eher schwach ausgeprägt. Als einzige Reaktion blieb damals ein sehr kurzfristig angesagter Lockdown, um die Welle nicht zu stark ansteigen zu lassen. Bereits im Mai sanken die Fallzahlen und im Juni konnten die Massnahmen bereits wieder gelockert werden. Im Rückblick ist diese erste Welle wie schon im Jahre 1918 eher glimpflich verlaufen. Im Kanton Baselland mussten rund dreissig Todesfälle auf Grund einer Coronaerkrankung verzeichnet werden.
Während der Spanischen Grippe war die zweite Welle um einiges heftiger als die erste. Sie begann im Frühherbst und umspannte bald den ganzen Globus. Auch im 2020 war die zweite Welle weltweit um einiges stärker als die erste. Ich frage mich mittlerweile, ob sich das Virus nicht damals schon verändert haben könnte, da die Ansteckungen in kurzer Zeit auffallend stark angestiegen sind. Die Parallele der Rhythmik zur Spanischen Grippe ist auch hier sehr auffallend. Auf Wikipedia ist zusätzlich über den Umgang mit der damaligen Pandemie folgendes zu lesen: "Spätere Studien zeigten, dass das Verbot von Massenveranstaltungen und das Gebot, einen Mund-Nasen-Schutz zu tragen, die Todesrate in amerikanischen Großstädten um bis zu 50 Prozent senkte. Während der Influenzapandemie von 1918 unternahmen die USA im Gegensatz zu Europa beträchtliche Anstrengungen im Bereich der öffentlichen Gesundheit. Einschlägige Studien zeigten, dass zeitlich begrenzte Interventionen die Gesamtmortalität nur mäßig (ca. 10–30 %) reduzierten und dass die Wirkung oft sehr begrenzt war, da die Interventionen zu spät eingeführt und zu früh aufgehoben wurden. Andere Städte dagegen ergriffen umfassende Interventionen in das öffentliche Leben, die die Übertragungsraten um bis zu 30–50 % reduzierten." Haben das die Schweizer Behörden auch Mal gelesen? Eigentlich fast nicht zu glauben, dass diese Vorkenntnisse im Massnahmenkatalog nicht stärker berücksichtigt worden sind. Wir stehen laut Medienberichten nun unmittelbar vor einer dritten Welle, die übrigens während der Spanischen Grippe auch von England aus ging. In der Spanischen Grippe war die dritte Welle jedoch bereits wesentlich schwächer als die zweite. Wirklich stichhaltige Gründe konnten dafür bis heute keine gefunden werden. Anschliessend kehrte man im Sommer 1919 langsam wieder zu einem normalen Leben zurück. Im darauffolgenden Winter war die Übersterblichkeit nochmals auffallend hoch, bevor sie sich später auf ein normales Niveau einpendeln sollte.
Was wir daraus entnehmen können ist, dass bei ansteigenden Fallzahlen mit restriktiven Regelungen die Pandemie wesentlich gedämpft werden kann. Zusätzlich hat jede Welle aber auch ihre eigene Zeitspanne, die häufig etwa drei Monate lang dauert. Insofern könnte die Tatsache, dass es in der Schweiz an Weihnachten drei Monate nach Beginn der zweiten Welle nicht zu einem erneuten Anstieg der Fallzahlen gekommen ist, eventuell nicht nur mit dem Verhalten der Bevölkerung und den neuen Regelungen zu tun haben.
Vor hundert Jahren hätten wir zum jetzigen Zeitpunkt das Gröbste überwunden und es läge nur noch eine wesentlich schwächere dritte Welle vor uns. Zum zweiten Mal seit dem Oktober 2020 handelt jedoch unsere Regierung völlig antizyklisch und schränkt aus Angst vor einer dritten Welle das öffentliche Leben nochmals wesentlich ein, obwohl die Fallzahlen momentan in etwa wieder gleich gross sind wie sie zu Beginn der zweiten Welle waren. Zu diesem Zeitpunkt durften sogar Chorproben noch stattfinden.
Daraus lässt sich folgendes schliessen: Pandemische Zyklen und Erfahrungen, wie sie schon vor hundert Jahren vorgekommen sind, fliessen nur sehr beschränkt in unseren heutigen Umgang mit der Pandemie ein. Warum eigentlich? Zusätzlich haben pandemische Zyklen vermutlich eigene Dynamiken und Gesetzmässigkeiten, die immer noch wenig erforscht sind. Wir können durch unser Verhalten zwar das Ausmass der Pandemie aber vermutlich nicht deren Rhythmus wesentlich beeinflussen. Vor diesem Hintergrund macht eigentlich nur eines Sinn; nämlich die Massnahmen bei stark steigenden Fallzahlen rasch einschneidend zu verstärken. Doch genau das haben wir hundert Jahre nach der Spanischen Grippe genau nur einmal geschafft; nämlich im letzten Frühjahr zu Beginn des Lockdowns. Ein weiteres Beispiel antizyklischen Verhaltens unserer Regierung ist der momentane "Lockdown light" bei sinkenden Fallzahlen. Das führt dazu, dass heute wesentlich weniger erlaubt ist, als bei gleich hohen Fallzahlen im Herbst 2020 noch erlaubt war. Es bleibt zu hoffen, dass dadurch die dritte Welle ähnlich wie im Frühjahr 2020 tatsächlich wesentlich gedämpft werden kann, und wir im Sommer 2021 wie vor hundert Jahren nach weiteren drei Monaten endlich wieder zu einem etwas normaleren Leben zurückkehren können.
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