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Autorenbildjuergsiegrist

Christkatholische Kirchenmusik


Freiheit und Unabhängigkeit gehören unmittelbar zur Schweizer Geschichtsschreibung. Eine spezielle Episode der Schweizer Geschichte ist die Entstehung der Christkatholischen Kirche. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts wollte sich diese Bewegung mehr auf christliche Grundwerte berufen und sagte sich deshalb vom Vatikan los. Dies war durch die  Gründung des Schweizerischen Bundesstaats ohne grosse Widerstände möglich, da auch die Bundesverfassung stark von liberalen Grundwerten geprägt ist. Ein Ursprungsort der Christkatholischen Kirche ist Olten und so will es der Zufall, dass mein Grossvater, der in Trimbach nahe bei Olten aufgewachsen ist, mit seiner Familie ebenfalls der christkatholischen Kirche angehört hat, der heute immer noch über zehntausend Mitglieder in der Schweiz angehören.

Die Basler Predigerkirche wurde bereits zur Gründungszeit im 19. Jahrhundert von der christkatholischen Kirche übernommen, wo bis heute regelmässig Gottesdienste stattfinden. Ausgestattet mit einer Silbermann-Orgel eignet sich die Kirche mit ihrer guten Akustik auch ausgezeichnet für Konzerte älterer und neuerer Musik. Durch die Initiative des Organisten und Cembalisten Jörg Andreas Bötticher, der ebenfalls Professor an der Schola Cantorum Basiliensis ist, finden in der Kirche seit Jahren regelmässig Abendkonzerte mit Musik vorwiegend aus dem 17. und 18. Jahrhundert statt, die beim Publikum sehr beliebt sind.

Wie jede Kirche hat auch die Christkatholische Kirche an ihren Standorten viele Kirchenchöre, die seit 150 Jahren aktiv sind. Für diese Chöre wurden rege Stücke für den liturgischen Gebrauch komponiert, die nur wenig bekannt sind. Bei genauerer Betrachtung lässt sich jedoch feststellen, dass durchaus namhafte Persönlichkeiten mit interessanten Biografien Werke für diese Kirchenchöre geschrieben haben.

Im Jubiläumskonzert vom letzten Samstag ging es genau darum, diese Werke gemeinsam wieder zu entdecken und zu präsentieren. Eröffnet wurde das Konzert mit einer Messe von Immanuel Johannes Kammerer, der lange Zeit in Rheinfelden als Komponist, Organist, Dirigent und Lehrer gearbeitet hat. Auffallend an diesem Werk war die Anlehnung an alte, polyphone Kompositionsprinzipien mit neuen klanglichen Elementen. Ganz anders, viel persönlicher und einfacher dagegen war Christoph Schnyders Annäherung zum Gebet «Vater unser». Ein zentrales Anliegen der Kirche war seit Anbeginn, biblische Texte besser zugänglich zu machen.

An die grosse romantische Mottette knüpfen die sechs Motetten von Gustav Bergmann an, die klanglich sehr differenziert und interessant gestaltet sind. Ein Vertreter aus der französischen Schweiz war Georges Pucher, mit Helene Ringgenberg war Bern kompetent vertreten und natürlich durfte mit Engelbert Glaser auch die Luzerner Szene nicht fehlen. Er hat bereits einige neue Choräle für das christkatholische Kirchengesangsbuch geschrieben.  

Vor der Uraufführung einer neuen Messevertonung von Cyrill Schürch erklang der Choral «Gott ist mein Hirt» des Theologen Adolf Thürlings. Er gilt als einer der Urväter der Christkatholischen Kirche und war lange Professor für Theologie in Bern. Er hat als erster ein deutsches Messbuch verfasst. Sein Stück kann durchaus als so etwas wie «die Hymne» der Christkatholischen Kirche bezeichnet werden. Adolf Thürlings war zusätzlich massgeblich an der ersten Veröffentlichung eines Christkatholischen Kirchengesangsbuchs beteiligt.

Knapp hundert Personen haben das Konzert vom letzten Samstag besucht. Die Stücke waren teilweise sehr anspruchsvoll für den vorwiegend mit älteren Laiensingenden besetzten Chor. Fünf verschiedene Dirigentinnen und Dirigenten der christkatholischen Kirchenchöre haben die Leitung und Einstudierung der Werke untereinander aufgeteilt. Es war eindrücklich, in diesem Konzert zu erleben, welche musikalischen Fähigkeiten und Werke in der kleinen christkatholischen Kirche Schweiz bis heute gepflegt werden. Der eigentümliche Geist dieser autonomen, unabhängigen, liberalen Schweizer Kirche war in vielen Momenten des Konzerts deutlich spürbar. Für mich persönlich war es auch ein Stück Heimat.

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