"Mami, kann ich die Schallplatte der Wiener Musterknaben hören?" Das ist eines der beliebtesten Zitate aus meinem Vorschulkindesalter. Immer pünktlich zur Adventszeit nahm meine Mutter sie hervor, die legendäre Weihnachtsschallplatte der Wiener Sängerknaben, während wir Kinder den Spielwarenkatalog von Franz Carl Weber studierten. Einige Jahre später wurde diese dann durch die CD "Musik zu Weihnachten" der Knabenkantorei Basel ersetzt, die heute auch in unserem Haushalt zur Weihnachtszeit regelmässig zum Einsatz kommt.
Kürzlich lief im Fernsehen der Film "In den Gängen". Er handelt von einem Supermarkt, in dem die sozial eher isolierten Angstellten einen einfachen, familienähnlichen Zusammenhalt aufbauen können. Die Handlung spielt vorwiegend zwischen den Wänden der riesigen Regale. Hier wird gemeinsam gearbeitet, gelitten und auch immer wieder mal gefeiert. Zur Weihnachtszeit wird im Supermarkt das Lied "Es ist ein Ros entsprungen" abgespielt. Es erklingt durch die endlosen, trostlosen mit Weihnachtsartikeln beladenen Regale und Gänge und ich wusste gleich vom ersten Ton an: Das ist die Aufnahme der "Wiener Musterknaben". Der Gedanke liess mich nicht los. Ich musste das überprüfen und tatsächlich: Nach einigen Mausklicken hatte ich sie wieder gefunden: Die Erinnerungen meiner frühen Kindheit.
Weihnachten, das Fest der Familie, ist für mich sehr intensiv wie für viele andere mit hören und singen von Weihnachtsliedern verbunden. Seit fast zwanzig Jahren leite ich daher zur Weihnachtszeit ein stets gut besuchtes, offenes Singen in Liestal. Einmal hat mir eine ältere Frau nach dem Singen gesagt: "Weisst du Jürg, das offene Singen ist für mich jeweils so etwas wie wirkliche Weihnachten." Leider habe ich es damals verpasst nachzufragen, warum das für sie so war. War sie einfach einsam? Sangen ihre Kinder keine Weihnachtslieder mehr? War es die gesamte Stimmung? Es gibt auch Menschen, die sehr kritisch auf gewisse Weihnachtslieder reagieren.
Als ich einmal an einem offenen Singen das Lied "Kei Mueter weiss" aus der Zäller Wiehnacht gesungen hatte, sagte anschliessend ein jüngerer Mann. "Dieses Lied mag
ich nicht so. Das macht mich traurig." Einen ähnlichen Kommentar erhielt ich mal von einer Frau die sagte: „Immer dieses depressive "es kommt ein Schiff geladen". Ich kann es nicht mehr hören!"
Mit ihrer Nähe zur Familie und zu unserer Gefühlswelt konfrontieren uns Weihnachtslieder oft mit uns selbst und unserer eigenen Geschichte. Ein unablässiger Zyklus der Europäischen Kultur im Jahresverlauf. In den letzten Jahren wurde dieser Zyklus zusätzlich noch mit jährlichen Terrorschrecken in ganz Europa angereichert. Die Medienberichterstattungen erschütterten uns regelmässig in unserer Tradition, die Weihnachtszeit als ruhigen Moment des persönlichen Rückzugs und der Geborgenheit zu erleben.
Gestern am "Black Friday", dem Tag des grenzenlosen Konsums, wurden neueste Empfehlungen des Bundes veröffentlicht wie dieses Jahr Weihnachten gefeiert werden soll. Dort steht: "Singen: Gemeinsames Singen und das Spielen von Blasinstrumenten können das Ansteckungsrisiko erhöhen. Hören Sie besser Weihnachtslieder auf Ihrer Musikanlage." Deshalb hier der Link zu meiner Kindheit mit den Wiener Sängerknaben.
Das offene Singen musste leider abgesagt werden...
(meine Güte ist das langsam...)
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