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Autorenbildjuergsiegrist

Basler Sinfoniekonzert "Vo Bärg und Tal"

Aktualisiert: 3. Apr. 2022


Es ist wohl eines der aufwendigsten Vermittlungsprojekte, das das Sinfonieorchester Basel je lanciert hat. Schon vor längerer Zeit war im Vorfeld das Publikum danach befragt worden, welche Volkslieder in ein Volksliedkonzert des Sinfonieorchesters gehören müssten. Daraus ist eine Sammlung von Liedern entstanden, die anschliessend vom Musiker Florian Walser zu einem Arrangement für Singstimmen und Orchester verarbeitet wurden.

Vor kurzem fragte mich ein Geschichtslehrer, ob ich mit ihm ein Projekt zum Thema Musik und Geschichte gestalten würde. Nach einigen Diskussionen entschieden wir uns dafür, in diesem Kurs zum Thema «Musik und Gesellschaft», den Stellenwert von Schweizer Volksmusik genauer zu untersuchen. Wir wählten einige Lieder aus, die wir mit den Schülerinnen und Schülern einstudieren wollten: «Z’Basel an mym Rhy», das „Baselbieterlied» und «La haut sur la montagne» waren auch mit dabei. Die Lieder wurden auch im Arrangement von Florian Walser berücksichtigt. Diese Parallele zeigt, dass es durchaus immer noch so etwas wie ein gemeinsames Schweizer Volksliedrepetoire, das in der Gesellschaft je nach Region immer noch mehr oder weniger bekannt ist, gibt.

Genau an diesem Punkt setzte das Projekt «Vo Bärg und Tal» an und begnügte sich nicht damit, die Volkslieder nur aufzuführen, sondern sorgte auch dafür, dass die Lieder auch ausserhalb des Konzertsaals wieder mehr gesungen wurden. Schulklassen wurden aufgefordert, am Konzert teilzunehmen, Mitglieder des Orchesters gestalteten Singanlässe mit Schweizer Volksliedern in Altersheimen der ganzen Region Basel.

Vor einigen Jahren führte eine meiner Schülerinnen im Rahmen der Maturarbeit ein Singprojekt in einem Altersheim durch. Ein wichtiger Aspekt war dabei unter anderem auch die Literaturauswahl. Es war für die junge Projektleiterin damals eher etwas ungewohnt, dass sie auf Volkslieder wie «z’Basel an mym Rhy» oder «s’isch mer alles ei Ding» zurückgreifen musste. Aber der Aktivierungseffekt war gerade bei diesen Liedern bei älteren Menschen schon damals deutlich am höchsten.

Das Repertoire, das im Konzert «Vo Bärg und Tal» schliesslich zum Einsatz kam, war somit nicht unbedingt eine grosse Überraschung und eher konventionell. Einzig das Lied «Venus vo Bümplitz» der Berner Mundartband «Patent Ochsner» stach als einziges Stück aus dem «Rock-Pop-Genre» speziell hervor. Wenn ich meine Schülerinnen und Schüler jeweils frage: «Kennt ihr eigentlich das Baselbieterlied?», sind die Reaktionen teilweise enttäuschend spärlich. Insofern wurde im Projekt «Vo Bärg und Tal» Konvention zu Innovation und altes und bewährtes konnte niederschwellig wieder neu entdeckt werden.

So sitze ich nun mit einer Klasse im Sinfoniekonzert «Vo Bärg und Tal» und erlebe selber eine persönliche Berg- und Talfahrt. Schon nur die Tatsache, dass über zweihundert Kinder auf der Bühne Lieder wie «der Mond ist aufgegangen» oder «die Gedanken sind frei» inbrünstig mitsingen, ist für mich unglaublich berührend; den Schülerinnen und Schülern, die neben mir sitzen geht es vermutlich weniger so, weil sie zu diesen Liedern weniger persönlichen und fachlichen Bezug haben. Nach einem für Alphornklänge recht zügigen "vo Bärg und Tal» setzt das Schlagzeugset ein. Hochfrequenzige Becken und Snaredrums überdecken teilweise die Streicherklänge. Hätte evtl. ein Teppich für Abhilfe gesorgt? Plötzlich erscheinen vor meinem inneren Auge Musikgesellschaften und Blasmusikvereine. Die mehrfach besetzten Blechbläser halten sich auch im Casino heute nicht unbedingt zurück. Ich öffne die Augen und sitze immer noch in der hintersten Reihe des neu renovierten Musiksaals am Basler Barfüsserplatz.

Vor der Aufführung musste ich noch kurz ein dringendes Geschäft erledigen. Ich stieg mit unzähligen Kindern runter zu den Toilettenanlagen. Ein paar Jungs berichteten lauthals: «Hey, log emol, dasch alles sicher Million.» «Jo, Mann, und alles rot, eh, voll wie Bluet.» Selten habe ich das Casino derart belebt erlebt, wie an diesem speziellen Sinfoniekonzertmorgen.

Schöne, intensive, fast schmachtende Hörnerklänge eröffnen das Bündner Lied «La sera sper il lag». Dieses Stück wird landauf landab in vielen Chören gesungen und ist immer wieder ein Ohrenschmaus. Mit erstaunlich viel Energie singen anschliessend die Kinder «die Gedanken sind frei». Die Hymne auf die innere Freiheit haben die Kinder offensichtlich sehr gut verinnerlicht. Wiederum setzt das Schlagzeug ein und es folgt «Venus vo Bümplitz». Wenn man das Original mit seinen in den Zwischenspielen fast experimentellen Streicherklängen kennt, wirkt der arrangierte Streichersatz eher brav dagegen . Es folgt wieder ein berührendes «der Mond ist aufgegangen» und ein etwas gar lüpfiges «la haut sur la montagne». In den Streichern schön gesetzt, klingt das «Guggisbergerlied» mehrschichtig und interessant. Am Schluss des Konzerts singen alle noch die regionalen Hymnen «z’Basel an mym Rhy» und «Vo Schönebuech bis Ammel». Wer war wohl der verrückte Jutzer, der statt dem umstrittenen «Juhe» jeweils derart übermotiviert reingejutzt hat, dass alle die Köpfe drehten?

Zwei schöne und originelle klangliche Inseln waren die beiden Stücke, die das Basler Sinfonieorchester alleine spielte. Klanglich homogen und schön gestaltet waren die Strophen, die der Kammerchor Notabene präsentierte. Zum Schluss sangen dann alle nochmals inbrünstig «Veeeeeenus vo Bümplitz». «Vo Bärg und Tal» war für mich und vielleicht auch für andere eine lustvolle, intensive, emotionale Berg- und Talfahrt.

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1 Comment


oekosozial
Apr 04, 2022

nach dieser lustvollen und begeisterten Beschreibung habe ich mich grad auf die Suche nach meinem persönlichen Volksmusikschatz gemacht. Das Problem ist wohl auch die Verkitschung, die sich so schnell der Volksmusik behändigt. Volksmusik mag "einfach" sein, aber sie geht direkt zum Herz. Haydn ist ja auch oft einfach geschrieben, und trotzdem genial, das macht ihm ja keiner so schnell nach. Es macht auf jeden Fall Sinn, die Volksmusik vom Kitsch zu befreien, und die wirklich autochthone Musik, falls überhaupt als solche vorhanden, herauszuarbeiten. Ich kenne das von der ungarischen Volksmusik, die wir dank Bartok in ihrer reinen Form überliefert bekommen haben. Das hat herzlich wenig mit den süffig-sentimentalen Weisen zu tun, die die Zigeuner bekannt gemacht haben. Die Volksmusik is…

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