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Autorenbildjuergsiegrist

Als das Singen verboten wurde - Eine Vorweihnachtsgeschichte

Aktualisiert: 28. Nov. 2020


Es war einmal ein reiches Land. Man munkelt, es sei eines der reichsten Länder der Welt gewesen. Viele Menschen in diesem Land lebten in Saus und Braus; sie konnten sich praktisch alles kaufen, was sie sich wünschten, reisten in der ganzen Welt umher, feierten grosse Feste und besassen viel mehr, als für ihr tägliches Leben wirklich nötig gewesen wäre. Die grosse Kehrseite ihrer Lebensweise war jedoch, dass die Leute immer mehr kauften und konsumierten, ja sie mussten das sogar, da nur so ihr riesiger notwendiger Wirtschaftsmotor der Produktivität am Laufen gehalten werden konnte. Die Luft war daher über Jahre durch Abgase derart verpestet worden, dass es im Sommer immer weniger regnete. Abfälle und Düngemittel wurden einfach im Boden verscharrt und gefährdeten das Trinkwasser oder wurden von illegalen Firmen in ärmere Länder verschifft, wo sie an Sandstränden jämmerlich verrotteten oder als Mikroplastik im Meer endeten.

Eigentlich spürten die Bewohner des Landes, dass es so nicht ewig weitergehen konnte. Aber sie wollten es nicht wirklich wahrhaben und dachten, dass auch in Zukunft für jegliches Problem schon irgendwie eine technisch gute Lösung hergerichtet werden könne, schliesslich besassen sie ja riesige Fabriken, wo die gescheitesten Menschen des ganzen Planeten in grossen Türmen arbeiteten und forschten. So geschah lange Zeit nichts, und die unablässige Steigerung der wirtschaftlichen Wertschöpfung nahm unentwegt ihren Lauf. Eines Tages berichteten Zeitungen über ein neues Virus, das in einem fernen Land ausgebrochen sein soll. Zuerst dachten die Bewohner, dass das schon nicht bis in ihr eigenes Land gelangen könne. Es ging jedoch nicht lange, und das Virus war bereits im Nachbarsland angekommen, wo urplötzlich viele Menschen schwer daran erkrankten und starben. Als auch im eigenen Land mehr Krankheitsfälle zu verzeichnen waren, entschloss sich die Regierung, den Wirtschaftsmotor notfallmässig abrupt zu stoppen, indem alle Menschen zuhause bleiben sollten. Plötzlich stand im Land der Produktivität alles still. Dort wo sich vorher unablässig unmassen von Autos durch die Strassen gewälzt hatten, war es nun plötzlich gespenstisch ruhig. Die Menschen und die Regierung hofften, auf diese Weise das Virus bändigen zu können.

Und siehe da, es gelang. Als es allmählich Sommer wurde, sanken die Fallzahlen wieder und die Menschen konnten Schritt für Schritt wieder in ihr altes Leben zurückkehren. Die Strassen waren wieder mit Autos verstopft, es wurde teilweise wieder gefeiert und gefestet, wie wenn das Virus gar nie dagewesen wäre. Einzelne Experten warnten, dass sich das nach dem Sommer im Herbst bald rächen könnte, die Warnungen wurden jedoch in den Wind geschlagen.

Als es dann Herbst wurde, verlagerten sich die Aktivitäten, die vorher oft draussen stattfinden konnten, nach drinnen. Die Menschen realisierten nicht, dass damit die Ansteckungsgefahr erheblich ansteigen könnte und so stiegen die Krankheitsfälle innerhalb weniger Wochen um ein Vielfaches an. Die Krankenhäuser waren in kurzer Zeit wieder voll und es musste etwas unternommen werden. Viele Menschen hatten jedoch Angst, ihre Arbeit und ihre Einkünfte zu verlieren, daher wehrten sie sich dagegen, den Wirtschaftsmotor wiederum vollständig abzuschalten. Nach langen Diskussionen entschloss sich die Regierung, mit neuen Gesetzen die Produktivität nur soweit als wirklich notwendig zu drosseln. Viele Aktivitäten waren immer noch erlaubt, einfach in viel weniger grösserem Ausmass als vorher. Nur zwei Dinge wurden vollständig verboten: Das gemeinsame Singen und Tanzen.

Die einzigen, die noch gemeinsam singen durften, waren die Kinder, da sie nur wenig von der Krankheit betroffen waren. Doch nicht einmal ihnen wurde das Singen überall erlaubt. Zu gross war die Angst, dass man sich beim Singen anstecken und somit das Virus weiter verbreiten könnte. Auch die Experten waren der Meinung, dass man doch eigentlich eine Zeit lang gut auf das Singen verzichten könne. Viel wichtiger sei es, die Menschen gesund und den Wirtschaftsmotor am Laufen zu erhalten. So wurde im ganzen Land praktisch nicht mehr gesungen und es wurde an vielen Orten unheimlich still.

Den Menschen im Land ging es jedoch mittlerweile nicht mehr so gut. Sie hatten oft nur noch wenig Lust, zu feiern und zu konsumieren. Sie sassen aus Sicherheitsgründen oft einsam zuhause und starrten stundenlang auf nichtssagende Bildschirme. Konzerte gab es nur noch wenige, weil grössere Veranstaltungen nicht mehr erlaubt waren. Grosseltern getrauten sich nicht mehr ihre Grosskinder zu besuchen und im Sportunterricht wurde sicherheitshalber nur noch Minigolf gespielt. Alle hatten Masken auf, um sich ja nicht mit dem gefährlichen Virus anzustecken. Die Blätter vielen von den Bäumen, der Winter kam. Allmählich konnte die Zunahme der Krankheitsfälle gestoppt werden. Es ging jedoch nicht so schnell, wie sich dies die Experten erhofft hatten. Es wurden immer mehr Leute krank. Nicht nur durch das Virus, sondern neuerdings auch durch die sozialen und kulturellen Einschränkungen. Nach einiger Zeit wurde endlich ein wirksamer Impfstoff gegen die Krankheit gefunden. Gleichzeitig wurde jedoch bekannt, dass das Virus in riesigen Nerzfarmen eines anderen Landes bereits mutiert und sich in einer neuen Form weiter verbreitet haben könnte. Tausende von Tiere mussten zwangsweise getötet werden. Wird der gefundene Impfstoff auch bei der mutierten Variante wirken? Werden die Menschen das Virus ausmerzen können? Welche unvorhersehbaren Folgen werden noch auftreten? Wann werden die Menschen wieder unbeschwert gemeinsam Singen können? Die Fortsetzung dieser Geschichte steht in den Sternen...


"Personen und Handlung sind frei erfunden. Konkrete Ähnlichkeiten mit lebenden oder toten Einzelpersonen sind rein zufällig und nicht beabsichtigt."

Und zum Schluss noch dies:



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