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Autorenbildjuergsiegrist

4. Advent 2020: Das Leben ist zu hundert Prozent tödlich

Aktualisiert: 31. Dez. 2020


Wenn wir eines ganz sicher wissen, dann ist es die Tatsache, dass wir eines Tages sterben müssen. Eigentlich stellt das in den momentan eher unsicheren Zeiten ein sicherer Wert dar. Also wage ich für einmal das Gedankenspiel, das wir gerne von uns weg schieben. Was wäre, wenn ich sterben müsste...

Interessant ist, dass ich bei diesem Gedanke nicht zu erst an mich sondern vor allem an meine Angehörigen denke. Für meine Frau und die drei Kinder wäre nämlich mein plötzlicher Tod eine ziemliche Katastrophe. Leider leben wir in einer Gesellschaft, die den Tod derart weit aus ihrem Alltag verdrängt hat, dass ich mir nicht unbedingt sicher sein kann, dass meine Familie im Falle meines Todes überall auf ein gutes gesellschaftliches Auffangnetz zurückgreifen könnte; sehr wahrscheinlich könnte sie aber schon auf ein gutes, tragfähiges vor allem familiäres Umfeld zählen. Vor kurzem ist der Präsident des Lehrerverbands Baselland sehr überraschend verstorben. Die Lücke, die er hinterlassen hat, war und ist immer noch riesig und doch musste es danach irgendwie weiter gehen; es ging gar nicht anders. Das wäre auch im Falle meines Todes so. Das Leben würde auch für meine Angehörigen und mein ganzes Umfeld ohne mich weiter gehen. Es würde zwar vom einen Tag auf den anderen alles anders werden; aber es würden sich auch in einer derart schwierigen Situation neue Wege und Chancen auftun.

Von meiner Warte aus betrachtet würde ich natürlich gerne meine Kinder weiter aufwachsen sehen; also versuche ich, mit dem kostbaren Gut "Leben", das mir geschenkt wurde, sorgfältig und nach bestem Gewissen umzugehen. In der momentanen Krisensituation, in der ich trotz einem Virus, das regelmässig als gefährlich bis lebensgefährlich bezeichnet wird, normal als Lehrer arbeiten und mich dadurch tagtäglich Ansteckungsrisiken aussetzen muss, keine einfache Geschichte. Leider ist aber auch mein Tod unvermeidbar. Er wird kommen, so oder so; ich weiss nicht wann, wo und wie und sollte ich plötzlich tot sein, könnte ich ab diesem Moment wahrscheinlich auch keinen Schmerz mehr darüber verspüren, dass ich nicht mehr bei meinen Liebsten sein kann.

Auch wenn diese Gedanken schwierig sind, spenden sie in gewissem Sinne Trost. Ich habe nicht alles in meinem Leben selber in der Hand. Ich muss auch loslassen können, mich quasi im Strom des Lebens treiben lassen können. Die pausenlosen Medienberichte, Hygienemassnahmen und Diskussionen zur Coronakrise machen mir das leider momentan nicht unbedingt gerade leicht.

Unser Umgang mit der Krise zeigt gerade gnadenlos auf, dass wir als hochentwickelte Gesellschaft einen konstruktiven Umgang mit dem Sterben verlernt haben. Kann man überhaupt einen konstruktiven Umgang mit dem Tod haben? Wenn wir gewisse Naturvölker beobachten merken wir: Ja, man kann. Wir halten aber derart an unserem Leben fest, dass wir bereit sind, innerhalb weniger Tage viele wertvolle Errungenschaften unseres Zusammenlebens einfach über Bord zu werfen. Wie lebenswert ist ein Leben mit Schutzmaskenpflicht, täglichen Todesängsten, Tracingapps, sozial isoliert und gefangen in den eigenen vier Wänden?

Meiner Meinung nach fehlt es momentan an Diskussion darüber, was uns im Leben wirklich wichtig ist, und welche Konsequenzen und Risiken wir daher als Gesellschaft auf uns nehmen müssen, damit wir ein selbstbestimmtes, erfülltes Leben führen können. Als Bürger einer offenen und freien Gesellschaft möchte ich nämlich so weit wie möglich selber über mein Leben bestimmen können. Ich bin froh, dass dies während den Lockerungen wieder vermehrt möglich gewesen ist. Am Schluss bin nämlich vor allem ich alleine für mein Leben, meine Risiken und wahrscheinlich auch für mein Lebensende verantwortlich. Der Tod ist mir dabei gewiss; hoffentlich erst in hohem Alter nach einem erfüllten, selbstbestimmten Leben....-





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