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von Jürg Siegrist

Chorherbst


Es wird Herbst in den Chören und die Konzertsaison nimmt einen neuen Anlauf. Speziell im November sind wieder viele Chöre in grossen oratorischen Chorkonzerten anzutreffen. Bekannte Namen von Händel über Bach bis Dvorak und Mendelssohn werden aufgeführt. Gemäss meinen Beobachtungen ist dabei auch in den Chören so etwas wie der Herbst anzutreffen. Sowohl im Publikum als auch im Chor sind nämlich an diesen Anlässen häufig Menschen ab fünfzig Jahren vor Ort. Damit möchte ich nicht sagen, dass die Konzerte nicht gut wären, sie sind meistens sehr schön und stimmungsvoll, aber sie finden hauptsächlich innerhalb einer bestimmten Altersspanne unserer Gesellschaft statt. Leute unter vierzig sind dort eher weniger anzutreffen. War das früher anders? Wahrscheinlich nicht unbedingt; aber nach meiner Beobachtung hat sich die Situation auf Grund veränderter Mediennutzung In den letzten zwanzig Jahren eher noch verschärft. Die Älteren können mit dem Format eines Chorkonzerts aus biografischen Gründen oft noch was anfangen, während viele Jüngere häufig eher abwinken, wenn die Frage auftaucht, ob sie klassische Chorkonzerte besuchen. Die Medienlandschaft beeinflusst unser Verhalten; auch bezogen auf aktive Konzertbesuche und deren Stellenwert in unserer multimedialen Gesellschaft. Kein Wunder also, dass ältere Konzertpianisten fast die Nerven verlieren, wenn sie im Publikum ein aufzeichnendes Handy in den Händen eines Konzertbesuchers entdecken. Die Zeiten gewinnbringender Cd-Verkäufe sind zu ihrem Leidwesen längst vorbei.

Lässt sich an dieser Entwicklung etwas ändern? Geht unser Optimierungswahn und Medienhype so weit, dass wir die Musse und Ruhe für einen Konzertbesuch in Zukunft fast nicht mehr finden können? Die künftigen Generationen werden nicht darum herumkommen, sich zu diesen Fragen Gedanken zu machen und sollte wirklich mal ein Winter als absoluter Tiefpunkt unserer Konzertangebote eintreten, werden sich wahrscheinlich viele wieder nach einem Frühling sehnen und sich dabei unweigerlich für ein reichhaltigeres, echtes Konzertleben einsetzen. Eventuell gehört aber der Besuch von klassischen Konzerten von je her einfach eher zur reiferen Lebensphase in unserer Gesellschaft. Zu einem älteren, erfahrenen Konzertpublikum, das sich über die Jahre laufend erneuert, und somit seinen Stellenwert im Kulturleben halten kann.


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