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von Jürg Siegrist

Weihnachtsmarkt

Aktualisiert: 30. Okt. 2022


Heute ist im Ort, wo wir wohnen Weihnachtsmarkt. Leider existiert bei uns nicht ein wirklich schöner Dorfplatz, so findet der Weihnachtsmarkt auf dem Vorplatz des Feuerwehrmagazins direkt neben der Hauptstrasse statt. Die nötigen Vorbereitungsarbeiten werden immer mit viel Engagement ehrenamtlich geleistet. Da ich eher spontan hingehe, kann ich leider vor Ort nicht herausfinden, ob und wo Weihnachtsgeschichten vorgelesen werden. Mit ist, als hätte im Gemeindeblatt etwas darüber gestanden. Wahrscheinlich wäre es in der anliegenden Gemeindebibliothek gewesen. Zur Freude meines Sohnes steht jedoch direkt beim Eingang des Marktes ein riesiger Löschwagen. Gleich daneben hat sich eine schar junger Männer und Frauen aufgestellt, die Kommandos zur bevorstehenden Feuerwehrübung entgegen nimmt. Irgendwie fühle ich mich unfreiwillig an meine Militärzeit erinnert. Mein Sohn schaut erstaunt zu, ich hoffe nur, dass wir zu Hause diesen Löschzug nie brauchen werden.

Wir schlendern gemütlich durch die Stände und landen nach kurzer Zeit beim Kerzenziehen. Meine Tochter ist wacker mit dabei und zieht eifrig ihre erste eigene Kerze während gleich daneben Feuerwehrsirenen dröhnen und laut kreischende Frauen Opfer in der Feuerwehrübung mimen. Kurze Zeit später haben wir zwei schöne Kerzen gezogen. Die Frau am Stand ist sehr geduldig und hilfsbereit. Die Kinder freuen sich über die selber gezogenen Kerzen.

Wir bezahlen und gehen zurück zum Markt. Vor dem Gemeindehaus hat sich ein Chor mit Jugendlichen aufgestellt. Ich stelle mich mit den Kindern zum Publikum, das sich formiert hat. Jemand tippt mir auf die Schultern und zeigt auf eine ältere Frau, die direkt hinter mir auf einem Stuhl, weit weg vom Geschehen das Konzert hören und sehen möchte. Ich mache mich mit meinen Kindern davon und stelle mich auf der Seite hin. Aus einer Boxe klingt das Vorspiel von "We are the World". Der Chor beginnt einstimmig zu singen. Ich staune darüber, dass die jungen Frauen erstaunlich schön ihre Kopfstimmen einsetzen. Der Klang des Chors berührt mich und es kommt plötzlich doch so etwas wie Weihnachtsstimmung auf.

Nach dem kurzen Auftritt frage ich die Dirigentin, wie denn der Chor heisse. Sie antwortet: Wir sind nicht ein Chor, wir sind von der Sekundarschule Niveau A. Innerhalb weniger Minuten erlebe ich in einem kurzen Gespräch, wie sich eine Lehrerin mit viel Herzblut und Überzeugung für Ihre Schülerinnen und Schüler einsetzt.

Anschliessend gehen wir ins Café, das eine ortsansässige Partei organisiert hat. Mein Kinder senken den Altersdurchschnitt der Gäste erheblich. Eine ältere Frau zeigt Freude am Geschrei meiner Tochter. Viele sind jedoch in Gespräche vertieft. Andere Familien oder Kinder sind fast nicht zu sehen.

Ich wohne nun schon seit bald fünf Jahren hier und staune immer wieder von Neuem über die Gepflogenheiten einer dörflichen Sozialstruktur im 21. Jahrhundert. Am Weihnachtsmarkt heute wurden zumindest Teile davon sichtbar.

Schön und irritierend zugleich


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